You torture saints with a single glance

Es hatte ungefähr einen halben Schultag gedauert, um zu realisieren, dass Alec den exakt selben Stundenplan hatte wie ich. Als ich sein dämliches, überhebliches Grinsen auch in der dritten Stunde – Biologie bei Mr. Thompson – gesehen hatte, nachdem er mich bereits in Englisch und Geschichte ebenso dämlich und neckend angegrinst hatte, hatte ich der Tatsache ins Auge sehen müssen, dass er es sich offenbar zur Aufgabe gemacht hatte, mich zu stalken (oder mir den letzten Nerv zu rauben, auch wenn beides wahrscheinlich aufs gleiche hinaus lief).
Seine Zwillingsschwester Jane hatte zumindest nicht den selben Stundenplan wie ich, doch da Alec nicht weniger creepy war als Jane war das kein besonders großer Trost. Das plötzliche Auftauchen der Horror-Zwillinge aus Volterra machte mir nicht nur große Sorge, sondern es machte mich vor allem wütend. Ich liebte die High School. Das war für einen Teenager wahrscheinlich eine ziemlich seltsame Aussage, doch die Barrow High war einer der wenigen Orte, an denen ich mich vollkommen normal fühlte.
Ich hatte Freunde.
Niemand wusste, was ich war.
Niemand wusste, was meine Familie war.
Doch Alec und Jane machten dieses Gefühl der Sicherheit und Normalität kaputt. Ich wusste, dass meine Eltern – meine gesamte Familie – große Sorge hatten. Dass sie sich fragten, was es bedeutete, dass Aro die beiden nach Barrow geschickt hatte, damit sie ein Auge auf uns (ein Auge auf mich) haben würden. Ich wusste nur, dass ich den beiden nicht über den Weg traute und obgleich Mum und Dad mir gesagt hatten, dass ich die beiden einfach ignorieren sollte, so fiel mir das nicht besonders leicht. Wie sollte ich Alec auch ignorieren, wenn ich ihn in jeder Unterrichtsstunde sehen musste? Wenn er sich in Biologie den freien Platz neben mir geschnappt hatte, bevor ich es hatte verhindern können? Er war ein Mistkerl und ich hatte nicht vor, ihm zu gestatten, mich zu tyrannisieren.
Ganz davon abgesehen wollte ich meiner Familie zeigen, dass ich mit den beiden zurecht kam. Das letzte, was ich gebrauchen konnte, war, dass Jacob sich an der High School anmelden würde (oder meine Eltern).
Ich fand Alec in der Bibliothek. Einen Moment lang zögerte ich, schluckte dann jedoch das letzte bisschen Furcht, welche der Anblick des Volturi in mir auslöste, runter und ging zu dem Tisch, an dem er alleine saß. Ich klatschte unsanft die heutige Zeitung vor ihn. Die Schlagzeile auf der Titelseite verkündete in großen, fetten Lettern: Mann (42) tot aufgefunden – bereits der Vierte innerhalb von zwei Monaten – Serienkiller von Barrow noch immer nicht gefasst.
«If you and your sister have to hunt on our territory, then you should at least be discreet about it.» Ich setzte mich zu Alec. Meine Worte waren ein Zischen, doch ich wusste, dass er mich verstehen würde. «I‘m pretty sure that Carlisle has informed you regarding hunting in the area. People think that a serial killer is on the lose! I thought that a vampire who‘s over a thousand years old would know how to stay under the radar.»

Es ist das erste Mal, dass Jane und ich eine Schule besuchen und die letzten Tage haben mir gezeigt, dass ich in den vergangenen tausend Jahren nicht sonderlich viel verpasst habe. Es war laut, das Lehrpersonal behandelte uns wie kleine Kinder und die meisten Teenager waren so Vorlaut, dass es mich wunderte, dass Jane noch niemanden gefoltert hat. Bisher hat es auch nicht sonderlich viel zu sehen gegeben. Renesmee Cullen ist so normal, dass es beinahe langweilig ist und die ganze Mission gänzlich sinnlos erscheinen lässt.
Ich bezweifel zumindest, dass sie Aro viel bringen wird, da sie offensichtlich mehr Mensch als Vampir ist. Primitiv und naiv und langweilig.
Zumindest wird es ihn jedoch wohl beruhigen, dass ihr Dasein nicht die Geheimwahrung gefährdet. Sofern die Mordfälle der letzten Wochen nicht ihr zu schulden sind. Wir wissen schlussendlich nicht genug über Hybride um zu wissen, inwiefern sie sich wirklich kontrollieren können. Sie sind vielleicht kaum von Neugeborenen zu unterscheiden, selbst wenn man uns vermittelt hat, dass sie weitaus früher vollständige Reife erreichen.
Ich sitze in der Bibliothek, schaue mir ein Buch an, aber lese nicht wirklich. Es ist einfach nur um den Schein eines normalen Teenagers zu wahren. Zumal ich nicht nach Hause will, bevor Jane geht. Das ständige Herzklopfen und die weinerliche Stimme unserer „Mutter“ irritiert mich zu sehr.
Als auf einmal ein Zeitungsartikel vor mir abgelegt wird, blicke ich nach oben und Renesmee Cullen steht vor mir. Ihre Vorwürfe überraschen mich wenig, zeigen jedoch wohl auch, dass ihre Familie sie nicht ausreichend aufgeklärt hat. «I wouldn’t feed like that. I wouldn’t leave a body behind to be found.», erkläre ich. Ich würde mich auch nicht von Menschen ernähren, die vermisst werden würden.
«You do know that it is my job to make sure that my kind stays hidden?», frage ich sie leise mit angehobener Augenbraue. Ich sage bewusst «my kind» da ich sie nicht dazu zähle. Dann runzle ich jedoch die Stirn und lese noch einmal den Artikel. «So I figure it wasn’t you? I wondered if you might have some problem to stay in control considering how young you are.» Es kann manchmal immerhin Jahrzehnte dauern, bis Vampire lernen sich zu kontrollieren.
Doch sie war kein richtiger Vampir.